Folgend der angekündigte 2. Teil der Zusammenfassung von Sprengers neustem Buch „Das anständige Unternehmen“.
Nun kommen ein paar Kernthemen, die uns HR`ler aufhorchen lassen dürfen…
Prinzip 3 „Versuche nicht, Menschen zu verbessern“
Hier geht es um die Frage, ob Unternehmen nicht zu stark von der Sicht her kommen, dass man die Menschen mitnehmen, abholen, verändern muss? Und ob sie sich zu wenig Gedanken machen, wie man den Rahmen der Organisation anständig ändern muss, damit die Menschen sich in diesem entwickeln können. Menschen sind wie sie sind – es gibt keine besseren.
Aus seiner Sicht sind verschiedene heutige Muster nicht anständig:
– Ist das Bemühen um einen bestimmten FÜHRUNGSSTIL in einem Unternehmen nicht unanständig? Werden wir dadurch nicht noch intoleranter gegenüber dem individuellen Anderssein? Sind die oft vorzufindenden Beschreibungen nicht einfach nur „überraschungsfrei“ und weitgehend identisch mit dem, was eh unter „guter“ Führung verstanden wird? Und basiert Führung nicht auf einer stabilen Haltung, die vom Menschenbild, kulturellen Prägungen und z.B. Selbstvertrauen abhängt? Daher ist das richtige Personal der Hebel, die Selbstentwicklung der Menschen ein anderer. Aber nicht ein genormtes Führungsverhalten – ein guter Führungsstil ist einer der keiner ist – er kennt und ehrt Unterschiede.
– Braucht es wirklich wie heute so häufig vorkommend ETHIK-SEMINARE, um zu lernen wie man Gutes und Böses unterscheidet? Kann man Werte lehren und lernen? Warum verhalten sich Menschen unmoralisch? Ist es ein individuelles Problem oder das eines Systems? Braucht es nicht einfach Unternehmensstrukturen, die verantwortungsloses Verhalten unwahrscheinlich machen?
– Was für eine Wirkung hat FEEDBACK in einem Unternehmen? Die Absicht scheint eine Gute: miteinander reden, sich ernst nehmen, Leistung steigern, kein Lernen ohne Feedback. – Die meisten umgehen es aber gerne, sehen es als Pflichtthema. Warum? Sagt es mehr über den Geber als über den Nehmer aus? Lernt man nicht nur, wie der andere auf einen reagiert, erfährt man wirklich etwas für sich? Und ist 360 Grad-Feedback im System sinnvoll? Und: Ist Führung ohne Widerstand machbar, ist sie dann gut, braucht es nicht Konflikte? Schafft Feedback nicht „institutionelle Gefallsucht“ zu hohen Transaktionskosten“? Wichtig ist ein kontinuierlicher Dialog zwischen den Menschen…der könnte auch einfach sein.
– Was bringen RANKINGS in Unternehmen? Insbesondere wenn Unternehmen doch heute auf Kooperationsbereitschaft ausgerichtet sind. Bringt dann Wettbewerb innerhalb des Unternehmens etwas ausser eine „cover your ass“-Mentalität? Am besten noch als forced Rankings, bei denen die unteren 10% als leistungsschwach das Team verlassen müssen…
– Müssen Männer mehr wie Frauen werden, Frauen mehr wie Männer? Ist das WEIBLICHWERDEN der Männer, emotionale Intelligenz, seit dem Human Relation Ansatz das Ziel jeder Führungskräfteentwicklung (nur ganz oben in der Hierarchie bitte nicht…)? Macht das Sinn? Männer sind anders – Frauen auch. Sind wir hier zunehmend in der Therapeutisierung unterwegs? Männer sollen bitte das typisch männliche unterdrücken, Frauen das typisch weibliche. Bringt das Unternehmen weiter? Was ist mit dem viel ausgerufenen (aber vielleicht noch zu wenig gelebten?) Anspruch der Diversität? Nur Unterschied und Reibung macht kreativ.
Prinzip 4 „Verletze nicht die Autonomie der Mitarbeiter“
Gemeint ist hier die Fähigkeit von Menschen, auf der Basis von eigenen Gründen und Wünschen zu entscheiden, wie man arbeiten möchte. Je mehr sie selbst bestimmen können, desto würdevoller erleben sie die Arbeit, desto intrinsisch befriedigender ist sie. Ein Arbeitsplatz ist daher in dem Masse anständig, wie er Selbstbestimmung möglich und unsere Fähigkeiten notwendig macht. Nicht jeder will zwar volle Selbstbestimmung (sonst würden sich alle selbstständig machen), aber die Formen sind vielfältig, wie sie oft unanständig eingeschränkt wird.
Woran macht Sprenger das fest?
– Gibt der Einfluss der PSYCHOLOGIE in Unternehmen nicht zu sehr den Erlaubnisschein für jedwede mentale Intervention? Glauben wir nicht viel zu sehr, den anderen verstehen zu können? Wir erkennen als Führungskraft Fehlverhalten – und fragen uns „Warum?“ Ist das nicht irrelevant? Wir kommen eh aus unserer Selbstbezogenheit in der Analyse nicht heraus. Müssen wir nicht einfach auf das Handeln reagieren und nicht auf die Absichten? Abstand halten vom Mystizismus. – Und ist die Psychologie im Wirtschaftskontext nicht mit einer Doppelbotschaft unterwegs von „Drohung & Erlösung“? Selbstverwirklichung, Potenzial-Analyse, Ausschöpfung von Potenzialen,…. Psychologisierung = Pathologisierung? Oder: Psychologisierung = Intimisierung der sozialen Beziehungen? Müssen wir die Ich-Grenzen nicht mehr respektieren, als wir es heute häufig in Unternehmen tun?
– Wie gehen wir in der heutigen Zeit des Wandels mit der MITARBEITERAUSWAHL UND -ABWAHL anständig um? Sind nicht unrealistische Versprechungen bei der Aussendarstellung, intransparente Prozesse und Formen der Auswahl durch Assessment Center unwirksam und unanständig? Arbeitsplatzsicherheit ist zunehmend nicht mehr gegeben, Loyalität zu Unternehmen wird geringer. Unternehmen sind daher attraktiv, wenn sie in die Beschäftigungsfähigkeit der Menschen investieren. Im Thema Abwahl geht Sprenger insb. auf das deutsche Kündigungsrecht ein (bzw. auf das „Unkündbarkeits“recht) und welche Auswirkungen es auf die Nicht-Anständigkeit mancher Mitarbeitenden hat. Und auf das Konsequenzproblem, was Führungskräfte oft haben bei nicht ausreichend leistenden Mitarbeitenden – zu wohlwollend, keinem weh tun wollend. Auch das ist nicht anständig, frühe Klarheit ist fair. Und zuletzt hat im Abschied Anstand zu wahren, viel mit Anerkennung zu tun.
– Wie schaut es mit den Formen der MITARBEITERBINDUNG aus? Sind hier manche Formen nicht zu viel, die Mitarbeitenden geboten werden? Angefangen von der Form der finanziellen Bindung und Wettbewerbsverbote, über Fitness-Studio, Kinderstätten, Reinigung, Wellnesszonen – oder hin zur Extremform, Mitarbeiterinnen das Einfrieren ihrer Eizellen zu finanzieren. Seine Sicht: „Wenn Sie Ihre Mitarbeiter halten wollen, dann müssen Sie sie gehen lassen. Dann bleiben sie freiwillig. Und wenn nicht, ist es besser sie gehen.“
– Die heutige Form der BÜROKRATIE in Unternehmen lässt Fremdbestimmung intensiv erleben. Zum einen kommt sie von aussen durch die Politik, durch zu viele Regulierungen. Regeln stärken Regeltreue, schwächen aber die Verantwortung, das moralische Gefühl. Regeln fördern Absicherungsprozesse, aber nicht die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen. – Zum anderen kommt sie von innen, durch Abstimmungs- und Mitwirkungsanforderungen, Standardprozessen, Performance-Messungen, Kontrollsystemen. Die Paradoxie: Kontrollbürokratie verschärft die Probleme, für deren Bekämpfung sie sich hält. Je enger der Spielraum, desto wahrscheinlicher die Regelverletzung. Vertrauensverletzung auf allen Seiten ist die Folge dieser Spirale.
– Der laute Ruf nach AUTHENTIZITÄT – eine Reaktion auf unsere Zeit der wachsenden Künstlichkeit? Ist Authentizität nicht genau das, was wir von anständigen Unternehmen erwarten? – Aber: kennen wir uns, können wir wirklich authentisch sein? Und wollen wir das? Bzw. sollten wir das? Oder ist es nicht nur wieder eine Simulation, ein Schauspiel? Und kann der Beobachter unsere Authentizität objektiv sehen? Jeder beobachtet und bewertet aus seiner Brille. – Authentizität lässt sich nicht fordern. – Ist es nicht eher Höflichkeit, der fromme Betrug des Flunkerns, die liebevolle Notlüge, welche das Zusammenwirken anständig bleiben lässt? Nach W. Busch: „Da Lob ich mit die Höflichkeit, das zierliche Betrügen: du weisst Bescheid, ich weiss Bescheid, und allen macht`s Vergnügen.“
Im nächsten Beitrag lest ihr zum letzten Prinzip 5 „Bezeichne nichts als alternativlos“ und zu den abschliessenden Gedanken von Sprenger. – Während ich das obige zusammenfasse und dabei das Buch noch einmal querlese, entstehen vor mir Fragmente, wie ein anständiges Unternehmen nach Sprenger gestaltet ist und welche Rolle und Fähigkeiten HR dabei anders haben muss und kann als heute…ein spannendes Bild.
Euch eine schöne Woche – lieben Gruss Martina
Hi Martina, habe bis jetzt die ersten beiden Teile gelesen. Das ist ja eine geballte Ladung und wirft viele spannende Fragen auf. Aber je mehr Fragen ich lese, desto mehr glaube ich, dass es das anständige Unternehmen nicht gibt. Nicht, weil man nicht anständig sein kann, sondern weil das, was er beschreibt aus meiner Sicht in keiner Gruppe von Menschen in Reinkultur stattfindet. Noch nicht mal in der kleinsten. Diesen Anspruch auf ein Unternehmen zu beziehen halte ich dann fast schon für utopisch.
LikeGefällt 1 Person