Blick in die Zukunft – Homo Deus – Teil 2

Nachfolgend wie im vorherigen Beitrag angekündigt die Zusammenfassung vom 3. Teil des Buches „Homo Deus“ von Harari. Warum schreibe ich dazu eigentlich in diesem Blog über Leadership? Weil das Buch fundamental damit zu tun hat, wie wir uns (selbst, andere, die Welt) verstehen (könnten). – Ich kann das Buch jedem zum Selberlesen empfehlen…

Teil 3: Homo Sapiens verliert die Kontrolle

Worum geht es? – Beschreibung unserer augenblicklichen Lage und unserer möglichen Zukünfte – ist der liberale Humanismus in Gefahr, was kann an seine Stelle rücken? Wie spiegelt sich das alles in den tagtäglichen Entscheidungen wider, die jeder von uns trifft?
Der freie Wille, den der liberale Humanismus an erste Stelle setzt – existiert er eigentlich? Aktuelle Forschungen sagen anderes. Die Abläufe im Hirn sind entweder deterministisch oder zufällig oder eine Mischung von beidem – aber niemals  „frei“. Gehirnscanner zeigen – schon bevor wir es realisieren – unsere Entscheidungen voraus, durch Gehirnstimulation kann man per Fernbedienung Entscheidungen steuern, manipulieren.
Dazu ist die Vorstellung, ein Individuum zu sein, ein einziges Ich, ein wahres Selbst zu haben, auch im Schwanken. Die beiden Hemisphären des Gehirns erzeugen unterschiedlichste „Wahr-Nehmungen“; als ein Beispiel zeigt Harari Forschungen zu den Unterschieden zwischen dem erlebenden Selbst und dem erinnernden Selbst auf. Das erinnernde Selbst schafft sich nur eine Wirklichkeit, eine Fiktion. Und nun?
„Zu Beginn des dritten Jahrtausends ist der Liberalismus nicht durch die philosophische Vorstellung, wonach es keine Individuen gibt, bedroht, sondern durch ganz konkrete Technologien. Wir stehen vor einer wahren Flut äusserst nützlicher Apparate, Instrumente und Strukturen, die auf den freien Willen individueller Menschen keine Rücksicht nehmen. Können Demokratie, der freie Markt und die Menschenrechte diese Flut überleben?“ Er geht auf drei Themen ein:
Gefahr 1: technologische Entwicklungen machen Menschen wirtschaftlich und militärisch überflüssig
Cyber-Kriege und wirtschaftliche Produktion sind weniger von einer grossen Anzahl von Menschen abhängig. Sind dann Menschenrechte und Freiheiten weiterhin wichtig? Bisher konnten viele Sachen nur Menschen tun – was ist, wenn es zukünftig Computer auch ohne uns können, Intelligenz sich von Bewusstsein abkoppelt? Intelligenz ist unabdingbar für Militär und Unternehmen – Bewusstsein nur optional. Selbstfahrende, vernetzte Autos als fast banalstes Beispiel und vieles andere werden die Arbeitskraft von Menschen – sei es Anwälte, Ärzte, Apotheker oder wen auch immer, sogar Künstler – obsolet machen. Was machen wir dann mit all diesen Menschen – wenn uns weder physische noch kognitive Fähigkeiten für die jeweilig spezialisierten Tätigkeiten eine Alleinstellung geben? Was können wir noch besser als Algorithmen? – Und: Werden sich dann die Unternehmen, welche die Algorithmen besitzen, alle Macht und Reichtum sichern? Oder die Algorithmen selber die Macht und den Reichtum übernehmen, neue „Götter“ werden? Können wir dann die Motivation eines Systems kontrollieren, welches klüger ist als wir?
Gefahr 2: Menschen werden vielleicht noch als Kollektiv wertgeschätzt, aber nicht mehr als Individuum
Wenn wir keine Individuen im ursprünglichen Sinne sind und externe Algorithmen uns besser verstehen können als wir selbst, wird „Schönheit in den Betrachtungen des Algorithmus“ liegen und nicht mehr in den „Augen des Betrachters“. Viele aktuelle Entwicklungen und Investitionen von Google und anderen z.B. in Gesundheitsthemen zeigt auf, was sich dort alles verändern kann in dem, wie wir Entscheidungen treffen (oder treffen lassen) – im Guten wie im „Hinterfragungswürdigen“. Wenn Google, Facebook oder Microsoft alles von uns kennen inkl. unserer Gesundheitsdaten, Mails etc., vielleicht können sie dann für uns „bessere“ Entscheidungen treffen? Und was ist, wenn jemand dieses Wissen von uns hat und uns damit manipulieren möchte?
Gefahr 3: Nach wie vor werden einige Individuen wertgeschätzt, aber es wird sich um eine neue Elite optimierter Übermenschen und nicht mehr um die Masse der Bevölkerung handeln
Im 20. Jahrhundert zielte die Medizin darauf, die Kranken zu heilen. Im 21. Jahrhundert ist die Medizin zunehmend darauf ausgerichtet, die Gesunden zu optimieren – ein elitäres Projekt, welches immer einen Unterschied zur Masse beibehalten wird, auch wenn die Basis dadurch vielleicht für alle besser werden kann. Vielleicht auch nicht, wenn die Masse der Menschen ja nicht mehr erforderlich ist für Wirtschaft und Militär. Und die Eliten keinen Nutzen mehr darin haben, sie zu wertschätzen. Dann wird der Liberalismus zusammenbrechen….Welche neuen Religionen oder Ideologien könnten das dadurch entstehende Vakuum füllen und die anschliessende Evolution unserer gottgleichen Nachkommen steuern?“
Abschliessend geht Harari darauf ein, welche Techno-Religionen die Welt erobern könnten, weil sie Heil durch Algorithmen und Gene versprechen. Sie entstehen aus seiner Sicht insbesondere im Silicon Valley, wo Hightech-Gurus neue „Religionen“ zusammenbauen und lassen sich in zwei Haupttypen unterscheiden: Techno-Humanismus und Datenreligion.
Sicht des Techno-Humanismus – der konservativere Glaube:
Menschen sind noch immer die Krone der Schöpfung…aber sie entwickeln sich vom Homo Sapiens zum Homo Deus, der optimierte körperliche und geistige Fähigkeiten besitzen und sich damit gegen nicht-bewusste Algorithmen behaupten wird. Das heisst, es wird nach 70000 Jahren durch Gentechnik, Nanotechnologie und Schnittstellen zwischen Gehirn und Computer zu einer zweiten kognitiven Revolution kommen.
Die Frage ist, ob wir für dieses Upgrade schon genug wissen über seine Auswirkungen…klare Antwort zur Zeit: nein.  Wir kennen nicht das gesamte Spektrum mentaler Zustände (sondern wahrscheinlich eher sehr wenige) – daher wissen wir nicht, welche mentalen Ziele wir uns setzen sollen. In früheren Zeiten waren Fähigkeiten wie Geruchssinn, Aufmerksamkeit der Sinne allgemein oder das Träumen stärker ausgeprägt als heute. -Führen wir deswegen heute ein ärmeres Leben? Aus welchen Sicht ist es hilfreich, dass wir diese Fähigkeiten nicht mehr haben? Und welche Fähigkeiten sind aus welchen Gründen steigerungswürdig? Erreichen wir dann wirklich ein „upgrade“ oder besteht die Gefahr eines „downgrade“, da wir etwas wichtiges verlieren?
Der Humanismus glaubt an die „innere“ Stimme. Was ist, wenn wir diese zunehmend manipulieren (lassen) und einige der konfliktären inneren Stimmen zum Verstummen bringen?
„Der Techno-Humanismus steht hier vor einem nicht aufzulösenden Dilemma. Er betrachtet den menschlichen Willen als wichtigste Sache im Universum und drängt den Menschen deshalb dazu, Technologien zu entwickeln, die unseren Willen lenken und umgestalten. …..der geheiligte menschliche Wille würde einfach zu einem Designerprodukt wie jedes andere werden.“
Sicht der Datenreligion, Dataismus – der radikalere Glaube:
In Kürze: Menschen haben ihre kosmische Aufgabe vollendet und sollten ihre Fackel an völlig neuartige Wesenheiten abgeben.
Etwas detaillierter: Das Universum besteht aus Datenströmen und der Wert von allem bemisst sich nach dem Beitrag zur Datenverarbeitung. Insbesondere Biowissenschaften und Computerwissenschaften zeigen auf, dass für ihre Algorithmen die gleichen mathematischen Gesetze gelten – der heilige Gral scheint nahe, die einzige übergreifende Theorie, die alles vereint.
Von „aus Daten generiert der Mensch Informationen und daraus Wissen“ geht es hin zu „das kann der Mensch mit seiner Begrenzung nicht mehr – es braucht Big Data und Algorithmen, alles ist Datenverarbeitung“.
Oder besser: da sind wir ja schon, siehe die Einflussnahme der Börsen. Durch neue Formen der Datenverarbeitung könnte Demokratie schwächer werden – zunehmende Datenverfügbarkeit und -verarbeitung kann so etwas wie Wahlen, Parlamente obsolet machen, wenn Algorithmen „klüger“ sind. Die Macht des normalen Wählers verschwindet – nur weiss keiner, wohin eigentlich. Es fehlen Visionen von Regierungen, wohin es eigentlich gehen kann – es scheint einfach alles zu komplex.
Dadurch werden neue Strukturen entstehen, die Frage ist nur: welche und wer baut sie auf und kontrolliert sie?
„Wenn die Welt tatsächlich ein einziges Datenverarbeitungssystem ist, was ist dann ihr Output? Dataisten würden behaupten, dass es die Schaffung eines neuen und noch effizienteren Datenverarbeitungssystems ist, das man als das „Internet der Dinge“ bezeichnet. Sobald diese Mission erfüllt ist, wird Homo Sapiens verschwinden.“
Die „Gebote“ des Dataismus sind: Maximiere den Datenfluss. Alles soll mit allem verbunden werden. Es gilt die Freiheit der Information. – Dataisten glauben, dass Erfahrungen wertlos sind, wenn man sie nicht mit anderen teilt – und wir für uns selbst gar keinen Sinn finden müssen. Das werden die Algorithmen schon für uns tun. Der Dataismus hat dabei an sich nichts gegen Erfahrungen – aber er glaubt nicht, dass sie an sich einen Wert haben.
„Im 18. Jahrhundert drängte der Humanismus Gott an den Rand, indem er von einem deozentrischen zu einem homozentrischen Weltbild überging. Im 21. Jahrhundert könnte der Dataismus die Menschen an den Rand drängen, indem er von einer homozentrischen zu einer datazentrischen Weltsicht wechselt.“

Und nun?

Harari spricht zum Schluss nicht davon, dass das alles so kommt – es sind eher Möglichkeiten als Prognosen. Gedanken, um fantasievoller als bisher über die Zukunft nachzudenken – daher der Untertitel des Buches „Eine Geschichte von Morgen“. Er stellt uns drei Fragen und hofft, dass sie uns noch lange beschäftigen:
  1. Sind Organismen wirklich nur Algorithmen, und ist Leben wirklich nur Datenverarbeitung?
  2. Was ist wertvoller – Intelligenz oder Bewusstsein?
  3. Was wird aus unserer Gesellschaft, unserer Politik und unserem Alltagsleben, wenn nichtbewusste, aber hochintelligente Algorithmen uns besser kennen als wir selbst?
Wir leben schon in einer spannenden Zeit…sie kann Angst machen und lähmen oder uns auffordern, uns noch bewusster damit zu beschäftigen, was wir „wollen wollen„. Ich wünsche euch viel Freude beim Nachdenken darüber.
Lieben Gruss – Martina

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